6 Microservices-Architektur 3

6.1 Integrationsstrategien und API-Gateways

Die erfolgreiche Implementierung einer Microservices-Architektur hängt maßgeblich von der Fähigkeit ab, eine Vielzahl unabhängiger Services zu einem kohärenten Gesamtsystem zu integrieren. Während die Dekomposition in eigenständige Services zahlreiche Vorteile bietet, schafft sie gleichzeitig komplexe Herausforderungen bei der Kommunikation, Koordination und Interaktion dieser Services. In diesem Abschnitt untersuchen wir die verschiedenen Integrationsstrategien und die Rolle von API-Gateways als zentralem Baustein moderner Microservices-Architekturen.

6.1.1 Grundlegende Integrationsparadigmen

Die Integration von Microservices kann grundsätzlich auf verschiedene Arten erfolgen, wobei jeder Ansatz spezifische Vor- und Nachteile bietet. Die Wahl des geeigneten Integrationsparadigmas hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesamtarchitektur, die Entwicklungsprozesse und die operativen Eigenschaften des Systems.

6.1.1.1 Synchrone Kommunikation

Bei der synchronen Kommunikation wartet der aufrufende Service auf eine Antwort des aufgerufenen Services, bevor er mit der Verarbeitung fortfährt. Dieser Ansatz ist konzeptionell einfach und entspricht dem traditionellen Request-Response-Modell:

Vorteile:

Nachteile:

Typische Protokolle und Technologien:

6.1.1.2 Asynchrone Kommunikation

Bei der asynchronen Kommunikation sendet der aufrufende Service eine Nachricht und setzt seine Verarbeitung fort, ohne auf eine Antwort zu warten. Die Nachricht wird über einen Intermediär (Message Broker) an den oder die Empfänger zugestellt, die diese zu einem späteren Zeitpunkt verarbeiten.

Vorteile:

Nachteile:

Typische Protokolle und Technologien:

6.1.1.3 Hybride Ansätze

In realen Microservices-Architekturen werden oft beide Kommunikationsstile kombiniert, um die jeweiligen Vorteile zu nutzen:

Ein wichtiges Muster in diesem Kontext ist der Saga-Pattern, der komplexe, serviceübergreifende Transaktionen durch eine Sequenz lokaler Transaktionen und kompensierender Aktionen realisiert. Dieses Muster nutzt typischerweise eine Kombination aus synchroner und asynchroner Kommunikation, um die ACID-Eigenschaften (Atomicity, Consistency, Isolation, Durability) in verteilten Systemen bestmöglich zu approximieren.

6.1.2 Kommunikationspattern und Protokollauswahl

Die Wahl der Kommunikationspattern und Protokolle hängt von den spezifischen Anforderungen des Anwendungsfalls ab:

6.1.2.1 Request-Response

Das klassische Muster, bei dem ein Service eine Anfrage sendet und auf eine Antwort wartet:

6.1.2.2 Publish-Subscribe

Ein Service (Publisher) veröffentlicht Ereignisse, die von mehreren interessierten Services (Subscriber) verarbeitet werden:

6.1.2.3 Event-Sourcing

Bei diesem Muster werden alle Zustandsänderungen als Sequenz von Ereignissen gespeichert, aus denen der aktuelle Zustand abgeleitet werden kann:

6.1.2.4 Command

Ein Service sendet einen Befehl an einen anderen Service, der eine bestimmte Aktion ausführen soll:

6.1.2.5 Stream Processing

Kontinuierliche Verarbeitung von Datenereignissen in Echtzeit:

Die Protokollauswahl sollte sorgfältig basierend auf folgenden Faktoren getroffen werden:

Protokollauswahlmatrix für Microservices-Integration:

Protokoll/Technologie Performance Interoperabilität Schema-Evolution Entwicklerfreundlichkeit Betriebsaspekte
REST/HTTP Mittel Sehr gut Gut Sehr gut Sehr gut
gRPC Hoch Gut Sehr gut Mittel Gut
GraphQL Mittel Gut Sehr gut Gut Mittel
SOAP Niedrig Sehr gut Mittel Niedrig Gut
AMQP Hoch Gut Gut Mittel Gut
Kafka Sehr hoch Mittel Gut Mittel Mittel
WebSockets Hoch Gut Mittel Gut Mittel
MQTT Sehr hoch Mittel Niedrig Gut Mittel

Diese Matrix bietet eine Orientierungshilfe - die konkrete Auswahl sollte immer projektspezifisch evaluiert werden, da die Gewichtung der Kriterien je nach Anwendungsfall variieren kann.

6.1.3 API-Gateway: Das Eingangstor zur Microservices-Welt

Ein API-Gateway ist eine spezialisierte Komponente, die als zentraler Eintrittspunkt für externe Anfragen in ein Microservices-Ökosystem dient. Es übernimmt mehrere kritische Funktionen, die die effektive Integration, Sicherheit und Betriebsfähigkeit der Microservices-Architektur unterstützen.

6.1.3.1 Kernfunktionen eines API-Gateways

1. Anfragenweiterleitung (Request Routing)

Ein API-Gateway leitet eingehende Anfragen an die entsprechenden Backend-Services weiter. Diese Funktion ist besonders wichtig, da Clients nicht wissen müssen, welcher spezifische Service für eine bestimmte Funktionalität verantwortlich ist:

2. API-Komposition

In vielen Fällen benötigt ein Client Daten aus mehreren Services. Ein API-Gateway kann diese Zusammenführung übernehmen:

Diese Fähigkeit adressiert das “API-Kompositionsproblem”, bei dem ein Frontend andernfalls viele separate Anfragen an verschiedene Services stellen müsste, was zu erhöhter Latenz und komplexerem Client-Code führen würde.

3. Protokolltransformation

Ein API-Gateway kann zwischen verschiedenen Kommunikationsprotokollen vermitteln:

Diese Fähigkeit erlaubt es, das jeweils optimale Protokoll in den unterschiedlichen Teilen des Systems einzusetzen.

4. Sicherheitsfunktionen

Ein API-Gateway dient als Sicherheitsgrenze zwischen externen Clients und internen Services:

5. Monitoring und Observability

Ein API-Gateway bietet einen zentralen Punkt für das Monitoring des API-Verkehrs:

6. Resilienz-Muster

Ein API-Gateway implementiert typischerweise verschiedene Muster zur Verbesserung der Systemresilienz:

Die Resilienz-Funktionen eines API-Gateways sind zentral für die Stabilität des Gesamtsystems. Das folgende Diagramm veranschaulicht die Implementierung dieser Muster:

Resilienz-Muster im API-Gateway (Visualisierung):

6.1.3.2 API-Gateway-Architekturen

Es existieren verschiedene architektonische Ansätze für API-Gateways in Microservices-Umgebungen:

1. Zentrales API-Gateway

Ein einzelnes Gateway dient als Eintrittspunkt für alle externen Anfragen:

2. Gateway pro Client-Typ (Backend for Frontend Pattern)

Spezialisierte Gateways für verschiedene Client-Typen (Web, Mobile, IoT, Partner-APIs):

3. Mesh-Gateway-Architektur

In einem Service Mesh übernehmen spezielle Sidecar-Proxies die Gateway-Funktionalität für jeden Service:

Die Wahl der passenden Gateway-Architektur hängt von der Größe des Systems, der Organisationsstruktur und den spezifischen Anforderungen ab. Viele Organisationen beginnen mit einem zentralen Gateway und evolvieren bei wachsendem System zu spezialisierten Gateways oder Mesh-Architekturen.

6.1.3.3 Ausgewählte API-Gateway-Technologien

Auf dem Markt existieren zahlreiche API-Gateway-Lösungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

Open-Source-Lösungen - Kong: Erweiterbare API-Gateway-Plattform auf Basis von NGINX - Traefik: Modernes HTTP-Reverse-Proxy und Load Balancer - APISIX: High-Performance-API-Gateway mit dynamischer Konfiguration - Envoy: Edge/Service-Proxy, der häufig in Service-Mesh-Architekturen eingesetzt wird

Cloud-Provider-Lösungen - Amazon API Gateway: Vollständig verwalteter Service zur Erstellung und Verwaltung von APIs - Azure API Management: Umfassende API-Management-Plattform - Google Cloud Apigee: API-Management-Plattform mit umfangreichen Governance-Funktionen

Commercial-Off-The-Shelf (COTS) - MuleSoft Anypoint Platform: Umfassende API-Management- und Integration-Plattform - IBM API Connect: Enterprise-API-Lifecycle-Management - TIBCO API Management: API-Gateway mit erweitertem Monitoring und Governance

Die Auswahl sollte basierend auf Faktoren wie den spezifischen funktionalen Anforderungen, der vorhandenen Infrastruktur, dem Budget und den technischen Fähigkeiten des Teams getroffen werden.

6.1.4 Herausforderungen bei der Integration von Microservices

Die Integration von Microservices bringt spezifische Herausforderungen mit sich, die bei der Architekturentwicklung berücksichtigt werden müssen:

6.1.4.1 1. Verteilte Daten und Transaktionen

Im Gegensatz zu monolithischen Anwendungen, wo Transaktionen innerhalb einer einzigen Datenbank stattfinden können, erstrecken sich Geschäftsprozesse in Microservices-Architekturen oft über mehrere Services mit eigenen Datenbanken:

6.1.4.2 2. Versionierung und Kompatibilität

Services entwickeln sich unabhängig voneinander weiter, was Herausforderungen bei der Kompatibilität schafft:

6.1.4.3 3. Netzwerkzuverlässigkeit

In verteilten Systemen ist das Netzwerk eine zusätzliche Fehlerquelle:

6.1.4.4 4. Service Discovery und Load Balancing

Die dynamische Natur von Microservices erfordert Mechanismen zur Lokalisierung von Services:

6.1.5 Integrationsmuster für Microservices

Neben den grundlegenden Kommunikationsparadigmen haben sich spezifische Integrationsmuster etabliert, die häufige Herausforderungen in Microservices-Architekturen adressieren:

6.1.5.1 API Composition

Das Kompositionsmuster löst das Problem der Datenaggregation, wenn Informationen aus mehreren Services benötigt werden:

6.1.5.2 CQRS (Command Query Responsibility Segregation)

Dieses Muster trennt die Operationen zum Lesen (Queries) und Schreiben (Commands) von Daten:

6.1.5.3 Bounded Context Integration

Dieses aus dem Domain-Driven Design stammende Konzept ist fundamental für die Gestaltung von Microservices-Integrationen:

Die Integration entlang von Bounded Contexts anstatt technischer Grenzen führt zu stabileren und geschäftlich sinnvolleren Schnittstellen, da sie die natürlichen Grenzen der Domäne respektiert. Beispielsweise würde ein “Bestellprozess”-Bounded-Context mit dem “Lagerverwaltungs”-Bounded-Context über klar definierte Übersetzungsschichten kommunizieren, wobei jeder Kontext seine eigenen Begriffe und Modelle beibehalten kann.

6.1.5.4 Saga Pattern

Sagas ermöglichen verteilte Transaktionen über mehrere Services hinweg:

6.1.5.5 Event-Driven Integration

Diese Strategie nutzt Ereignisse als primären Integrationsmechanismus:

6.1.5.6 Backend for Frontend (BFF)

Dieses Muster verwendet spezialisierte Backend-Services für verschiedene Frontend-Typen:

6.1.6 Best Practices für erfolgreiche Integrationsstrategien

Basierend auf den Erfahrungen zahlreicher Organisationen haben sich folgende Best Practices für die Integration von Microservices etabliert:

6.1.6.1 1. API-Design-first-Ansatz

Beginnen Sie mit der sorgfältigen Gestaltung der APIs, bevor die Implementierung startet:

6.1.6.2 2. Kontraktbasierte Entwicklung

Definieren Sie explizite Verträge zwischen Services und validieren Sie diese kontinuierlich:

6.1.6.3 3. Resilienz-Muster implementieren

Entwerfen Sie jede Integration mit der Annahme, dass Fehler auftreten werden:

6.1.6.4 4. Observability-first-Entwicklung

Machen Sie die Integration beobachtbar, um Probleme schnell identifizieren und beheben zu können:

6.1.6.5 5. Asynchrone Kommunikation bevorzugen

Wo immer möglich, nutzen Sie asynchrone Kommunikation für verbesserte Resilienz und Skalierbarkeit:

6.1.6.6 6. Optimale Technologieauswahl

Wählen Sie Integrationstechnologien basierend auf konkreten Anforderungen, nicht auf Hype:

6.1.7 Evolutionäre Integration in bestehenden Systemen

In realen Szenarien beginnt die Microservices-Reise selten auf der grünen Wiese. Stattdessen müssen bestehende Systeme schrittweise transformiert werden:

6.1.7.1 Strangler Fig Pattern

Dieses Muster ermöglicht die inkrementelle Migration von einem Monolithen zu Microservices:

6.1.7.2 Anti-Corruption Layer (ACL)

Dieses Muster schützt neue Microservices vor den Konzepten und Modellen älterer Systeme:

6.1.7.3 Branch by Abstraction

Eine Technik zur schrittweisen Umstellung von Integrationsmechanismen:

Diese evolutionären Ansätze ermöglichen eine risikoarme Transformation bestehender Systeme, ohne den laufenden Betrieb zu beeinträchtigen.

6.1.8 Der Weg zu einer robusten Integrationsstrategie

Die Integration ist einer der kritischsten Aspekte jeder Microservices-Architektur. Eine durchdachte Integrationsstrategie ist entscheidend für den Erfolg des Gesamtsystems:

  1. Beginnen Sie mit klaren Prinzipien: Definieren Sie Leitlinien für API-Design, Kommunikationsmuster und Fehlermanagement, die alle Teams befolgen.

  2. Denken Sie domänenorientiert: Strukturieren Sie Ihre Integration entlang der natürlichen Grenzen der Geschäftsdomäne, nicht entlang technischer Artefakte. Die Bounded Contexts aus dem Domain-Driven Design bieten hierfür einen wertvollen konzeptionellen Rahmen. Wenn Services die Sprache und Konzepte ihrer jeweiligen Fachdomäne sprechen und ihre Schnittstellen an den natürlichen Domänengrenzen ausgerichtet sind, führt dies zu stabileren und geschäftlich sinnvolleren Integrationen als rein technisch motivierte Schnitte.

  3. Planen Sie für Evolution: Entwerfen Sie Ihre Integrationsstrategien mit dem Wissen, dass sich alles ändern wird - Services, Anforderungen und Technologien.

  4. Balancieren Sie Standardisierung und Autonomie: Schaffen Sie genügend Konsistenz für Interoperabilität, ohne die Autonomie der Teams übermäßig einzuschränken.

  5. Investieren Sie in Infrastruktur: Robuste Integration erfordert zuverlässige Plattformen für API-Management, Message-Handling und Observability.

Die richtige Kombination aus synchronen und asynchronen Integrationsmustern, sorgfältig gestalteten APIs und strategisch eingesetzten API-Gateways bildet das Rückgrat einer erfolgreichen Microservices-Architektur. Diese Komponenten ermöglichen es, die Vorteile der Microservices-Dekomposition zu nutzen, während die damit verbundene Komplexität beherrschbar bleibt.

Die Kunst der Microservices-Integration liegt letztlich nicht in der Wahl einer einzelnen “richtigen” Strategie, sondern in der geschickten Kombination verschiedener Ansätze, die den spezifischen Anforderungen Ihres Systems und Ihrer Organisation gerecht werden.