Die Microservices-Architektur repräsentiert nicht nur eine technische Implementierungsentscheidung, sondern ein umfassendes architektonisches Paradigma, das die Strukturierung, Organisation und Interaktion von Softwarekomponenten fundamental neu definiert. Um dieses komplexe Konzept vollständig zu erfassen, müssen wir zunächst die architektonischen Grundprinzipien verstehen und anschließend die verschiedenen Schichten betrachten, die zusammen ein funktionierendes Microservices-Ökosystem bilden.
Im Folgenden bezeichnen wir mit “Schicht” eine logische Ebene der Gesamtarchitektur, die spezifische Funktionen und Verantwortlichkeiten im Microservices-Ökosystem übernimmt.
Im Kern der Microservices-Architektur stehen einige fundamentale Prinzipien, die als Leitlinien für Design- und Implementierungsentscheidungen dienen:
Verteilte Verantwortlichkeit: Jeder Microservice ist für eine klar abgegrenzte Geschäftsfunktion oder Domäne verantwortlich. Diese Aufteilung erfolgt idealerweise entlang von Geschäftsfähigkeiten (business capabilities) und nicht entlang technischer Schichten. Ein Produkt-Service könnte beispielsweise alle Funktionen rund um die Produktverwaltung abdecken – von der Datenhaltung über die Geschäftslogik bis hin zur API – anstatt nur eine Datenbank- oder UI-Komponente zu sein.
Autonomie: Microservices sollten unabhängig voneinander entwickelt, getestet, bereitgestellt und betrieben werden können. Diese Autonomie erfordert klare Schnittstellendefinitionen und die Vermeidung versteckter Abhängigkeiten. Ein Service sollte idealerweise auch dann funktionieren, wenn andere Services temporär nicht verfügbar sind – eine Eigenschaft, die als “Resilienz” (Fehlertoleranz) bezeichnet wird.
Dezentrale Datenhaltung: Jeder Microservice verwaltet seine eigenen Daten, sei es in einer dedizierten Datenbank oder einem isolierten Schema. Dies verhindert die Entstehung impliziter Abhängigkeiten durch gemeinsame Datenstrukturen und erlaubt jedem Service, das für seine spezifischen Anforderungen optimale Datenbankmodell zu wählen.
API-First-Ansatz: Die Kommunikation zwischen Microservices erfolgt ausschließlich über wohldefinierte APIs. Diese Schnittstellen bilden einen Vertrag zwischen den Services und sollten sorgfältig gestaltet und dokumentiert werden. Änderungen an der internen Implementierung eines Services sollten keine Auswirkungen auf andere Services haben, solange die API-Spezifikation eingehalten wird.
Design für Fehlerszenarien: In einer verteilten Architektur sind Teilausfälle unvermeidlich. Microservices sollten daher so konzipiert sein, dass sie mit dem Ausfall anderer Services umgehen können. Strategien wie Circuit Breaker, Timeouts und Fallback-Mechanismen sind essentielle Bestandteile einer robusten Microservices-Architektur.
Eine vollständige Microservices-Architektur umfasst mehrere Schichten, die zusammen ein kohärentes System bilden. Diese Schichten arbeiten zusammen, um die Komplexität zu bewältigen, die mit einer verteilten Architektur einhergeht.
1. Service-Schicht: Der Kern der Architektur
Im Zentrum der Microservices-Architektur stehen die einzelnen Services selbst. Jeder Service implementiert eine spezifische Geschäftsfunktion und exponiert diese über eine definierte API. Intern folgt ein Service typischerweise einer eigenen Schichtenarchitektur:
Die innere Struktur eines Services bleibt jedoch für andere Services verborgen – sie interagieren ausschließlich über die definierte API. Diese Kapselung ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Service-Autonomie.
2. Infrastruktur-Schicht: Das Fundament des Systems
Die Infrastruktur-Schicht umfasst die grundlegenden technologischen Komponenten, die den Betrieb der Microservices ermöglichen:
Diese Infrastruktur-Schicht bildet das Fundament, auf dem die Services aufbauen, und sollte idealerweise so gestaltet sein, dass sie die Autonomie und Isolierung der Services unterstützt.
3. Integrationsschicht: Der Kommunikations-Nexus
Die Integrationsschicht ermöglicht die koordinierte Zusammenarbeit der einzelnen Services:
Diese Schicht ist entscheidend für die Bewältigung der Komplexität, die durch die Verteilung der Funktionalität auf viele unabhängige Services entsteht. Sie ermöglicht die Orchestrierung komplexer Geschäftsprozesse, die mehrere Services umfassen, ohne deren Autonomie zu beeinträchtigen.
Hierbei lassen sich zwei grundlegende Ansätze zur Service-Komposition unterscheiden:
Orchestrierung: Bei diesem Ansatz übernimmt eine zentrale Komponente die Koordination der verschiedenen Services. Diese Komponente kennt den gesamten Geschäftsprozess und steuert die Abfolge der Serviceaufrufe. Vorteile sind die zentrale Überwachung und Kontrolle, Nachteile die potenzielle Einschränkung der Service-Autonomie und ein möglicher Single Point of Failure.
Choreographie: Hier koordinieren sich die Services selbst, indem sie auf Ereignisse reagieren, die von anderen Services veröffentlicht werden. Jeder Service kennt nur seine eigenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Dieser dezentrale Ansatz fördert die Autonomie der Services, kann aber die Nachvollziehbarkeit komplexer Prozesse erschweren.
Die Wahl zwischen diesen Ansätzen hängt von der Komplexität des Geschäftsprozesses, den Anforderungen an Transparenz und Kontrolle sowie der organisatorischen Struktur ab.
4. Querschnittsschicht: Gemeinsame Anliegen
Die Querschnittsschicht adressiert Aspekte, die alle Services betreffen, ohne direkt Teil ihrer Geschäftslogik zu sein:
Diese Schicht ermöglicht eine konsistente Behandlung von Querschnittsanliegen über alle Services hinweg, ohne deren spezifische Implementierung zu beeinflussen.
5. DevOps-Schicht: Die Automatisierung des Lebenszyklus
Die DevOps-Schicht umfasst Werkzeuge und Prozesse für die automatisierte Entwicklung, Bereitstellung und den Betrieb von Microservices:
Diese Schicht ist entscheidend für die Realisierung eines der Hauptvorteile von Microservices: die Fähigkeit, Services unabhängig und mit hoher Frequenz bereitzustellen.
Die verschiedenen Schichten einer Microservices-Architektur sind nicht isoliert, sondern interagieren kontinuierlich miteinander. Ein typischer Anfrage-Ablauf könnte wie folgt aussehen:
Diese kontinuierliche Interaktion zwischen den Schichten ermöglicht die Flexibilität und Skalierbarkeit, die Microservices-Architekturen auszeichnet, erhöht aber auch die Komplexität des Gesamtsystems.
Eine wichtige Erkenntnis bei der Betrachtung von Microservices-Architekturen ist, dass diese selten “von Grund auf” entworfen werden. Vielmehr entstehen sie typischerweise evolutionär, indem zunächst kritische Geschäftsfunktionen aus einem Monolithen extrahiert werden. Die Architektur entwickelt sich kontinuierlich weiter, wobei neue Schichten und Komponenten hinzugefügt werden, wenn die Komplexität und die Anforderungen steigen.
Dieser evolutionäre Ansatz erfordert eine sorgfältige Balance zwischen langfristiger Vision und pragmatischen Zwischenschritten. Eine zu dogmatische Umsetzung aller architektonischen Schichten von Anfang an kann zu übermäßiger Komplexität führen, während ein zu inkrementeller Ansatz ohne klare Richtung zu inkonsistenten und schwer wartbaren Lösungen führen kann.
In der Praxis lässt sich oft ein Reifeprozess beobachten, bei dem Organisationen schrittweise von einfachen Services ohne dedizierte Infrastruktur zu einer vollständigen Microservices-Architektur mit allen Schichten übergehen. Dieser Prozess wird idealerweise durch eine klare architektonische Vision geleitet, aber durch pragmatische Entscheidungen im täglichen Betrieb umgesetzt.
Die Einführung einer Microservices-Architektur hat tiefgreifende Auswirkungen auf die organisatorische Struktur eines Unternehmens. Entsprechend dem Conway’schen Gesetz tendiert die Systemarchitektur dazu, die Kommunikationsstruktur der Organisation widerzuspiegeln – und umgekehrt.
Dies führt typischerweise zu einer Reorganisation von funktionalen Teams (Frontend, Backend, Datenbank) hin zu produktorientierten, crossfunktionalen Teams, die für bestimmte Services oder Geschäftsfähigkeiten end-to-end verantwortlich sind. Diese Teams benötigen ein breiteres Kompetenzspektrum, das von der Entwicklung über das Testing bis hin zum Betrieb reicht – ein Ansatz, der oft als “You build it, you run it” bezeichnet wird.
Die Autonomie der Teams spiegelt dabei die Autonomie der Services wider: Teams erhalten die Freiheit, innerhalb definierter Grenzen eigene Entscheidungen zu treffen, was zu höherer Motivation und schnelleren Entwicklungszyklen führen kann. Gleichzeitig stellt diese Autonomie höhere Anforderungen an die Kommunikation und Koordination zwischen Teams, insbesondere bei serviceübergreifenden Änderungen.
Die Kunst einer erfolgreichen Microservices-Architektur liegt letztlich darin, die richtigen Schichten und Komponenten zum richtigen Zeitpunkt einzuführen – basierend auf den aktuellen Herausforderungen und dem Reifegrad der Organisation. Dies erfordert ein tiefes Verständnis sowohl der technischen Grundlagen als auch der spezifischen Geschäftsanforderungen und organisatorischen Gegebenheiten.